Tolles, freches, hilfreiches Kinderbuch «Alle behindert!»

Dieses Buch enthält 25 Portraits von Kindern. Einige haben eine «klassische» Behinderung wie Stottern, Autismus, Körperbehinderung, ADHS. Dazu gesellen sich Kinder mit Merkmalen wie Schüchternheit, Angeber, Mitläufer, Tussi, Übergewicht. Die Portraits sind mit Humor, aber auch mit Tiefsinn und Sorgfalt nach einheitlichen Kriterien beschrieben (z.B. «Wo kommt das her?»; «Geht das wieder weg?»; «Wie gehe ich auf sie/ihn zu?»; «Das lasse ich lieber»; «Kann ich mit ihr/ihm spielen?»). Das Impressum im hinteren Teil des Buches zeigt, dass die Autorenschaft intensiv mit betroffenen Kindern und Erwachsenen, mit Angehörigen und mit Fachpersonen gesprochen hat, um die Portraits mit Sorgfalt (aber eben auch mit viel Lockerheit und erfrischendem Schalk) zusammenzustellen. Dieses Buch gehört meines Erachtens in jede Schulbibliothek und in jede Schulzimmer-Leseecke.

Monika Osterghaus & Horst Klein (2021, 5. Auflage). Alle behindert! 25 spannende und bekannte Beeinträchtigungen in Wort und Bild. Leipzig: Klett Kinderbuch Verlag. 40 Seiten (gebunden). ISBN 978-3-95470-217-6

Es hat sich gelohnt: «Inklusive Pädagogik und Didaktik» wurde vollständig überarbeitet

Nach nur wenigen Jahren wurde das Standardwerk «Inklusive Pädagogik und Didaktik» grundlegend überarbeitet. Hat sich dieser Aufwand gelohnt? Die Antwort fällt klar aus: Ja, auf jeden Fall! Dieses Buch zeigt fachlich fundiert praxisorientierte Wege auf, wie guter Unterricht gelingen kann – für alle Schülerinnen und Schüler, ob mit ohne Beeinträchtigungen.

Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil widmet sich zentralen Grundlagen wie ICF, multiprofessionelle Zusammenarbeit und gemeinsame Förderplanung. Wenn vielleicht andernorts Grundlagenkapitel «grosszügig überblättert» werden, dürfte das hier weniger geschehen: Wer sich bezüglich ICF, Zusammenarbeit und Förderplanung noch nicht ganz sattelfest fühlt, kann sich hier einen verlässlichen Boden schaffen.

Im zweiten Teil geht es um die didaktischen Möglichkeiten im Unterricht für alle. Im Vergleich zur ersten Auflage erhält die Leserschaft nochmals konkretere Umsetzungshinweise. Beispielsweise wird aufgezeigt, wie ein Autismus-sensibler Unterricht gestaltet oder wie die Beziehungsgestaltung im inklusiven Unterricht wirksam gestärkt werden kann. Ein spannendes Interview mit dem Sonderpädagogen und Vollblut-Didaktiker Dieter Rüttimann rundet den zweiten Teil ab.

Besonders raffiniert ist die Struktur des dritten Teils: Sie orientiert sich an den Aktivitäts- und Partizipationsbereichen der ICF. Weil die Förderschwerpunkte bei Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen oftmals entlang dieser Bereiche fokussiert werden, lassen sich in den Unterkapiteln zielgerichtet praxisorientierte Anregungen für die Förderung finden. Weil sämtliche unterrichtsrelevanten ICF-Aktivitätsbereiche abgedeckt sind, öffnet sich ein Fächer von didaktischen Umsetzungsideen für eine sehr heterogene Schülerschaft. Das ist dann eben gelebte «inklusive Didaktik» – und damit löst dieses Buch sein im Titel formuliertes Versprechen ein. Dieses Standardwerk empfiehlt sich einerseits als Studienbuch für angehende Lehrpersonen und Fachpersonen in Schulischer Heilpädagogik. Andererseits ist es durch seinen modularen Aufbau sehr geeignet für erfahrene Lehrpersonen sowie Schulische Heilpädagoginnen und Heilpädagogen, welche sich praxisorientiert anregen lassen möchten, um ihren Unterricht für eine noch heterogenere Schülerschaft auszurichten.

André Kunz, Reto Luder, Cornelia Müller Bösch (Hrsg.) (2021). Inklusive Pädagogik und Didaktik. Bern: hep Verlag (vollständig überarbeitete Neuauflage).

[Rezension von Peter Lienhard, HfH, erschienen in der SZH-Zeitschrift 12/2021]

SSG-Wort-Bildkarten liegen neu in Basisschrift vor

Vor über zehn Jahren hat ein innovatives Team von Grundstufen-Lehrpersonen – namentlich Klaus-Peter Grundkötter und Christine Betschon – Zusatzmaterial für das Verfahren «Schulische Standortgespräche» (SSG) erarbeitet. Wort-Bild-Karten sollten helfen, auch Schülerinnen und Schüler der Eingangsstufe (Kindergarten und erste Primarklassen) an Schulischen Standortgesprächen teilhaben zu lassen.

Die Wort-Bild-Karten zu den zehn ICF-Lebensbereichen des SSG waren in Steinschrift ausgeführt. Weil inzwischen die Basisschrift Einzug in die Schweizerische Volksschule gefunden hat, habe ich die Wort-Bild-Karten entsprechend aktualisiert.

Sie liegen nach wie vor in zwei Varianten vor:

– Variante A ist inhaltlich etwas ein einfacher und eignet sich vor allem für Schülerinnen und Schüler der Kindergartenstufe.

– Variante B ist inhaltlich etwas komplexer und eignet sich vor allem für die erste Klasse der Primarstufe.

Die Formulare sind über http://peterlienhard.ch als pdf-Dateien herunterladbar (links auf «Schulische Standortgespräche» klicken). Dort sind auch Unterlagen verfügbar, die erläutern, wie die Wort-Bild-Karten möglichst gewinnbringend eingesetzt werden können.

Hilfsmittel «Modelle der Zusammenarbeit» wurde erweitert

Im Jahr 2012 habe ich erstmals Beschreibungen von verschiedenen Modellen der Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen und sonderpädagogischen Fachpersonen erstellt – bewusst holzschnittartig und mit einem Augenzwinkern. In den letzten Jahren habe ich immer wieder gehört, dass diese gerne von Schulteams verwendet werden, um die interdisziplinäre Zusammenarbeit in den Klassenteams zu reflektieren und zu optimieren.

Kürzlich hat mich ein Kollege aus dem süddeutschen Raum angefragt, ob er diese Modelle für eine Entwicklungsbroschüre verwenden darf. Natürlich durfte er – sie stehen ja zur freien Verfügung. Dabei hat er die bisherigen fünf Modelle um eines ergänzt, das «Verschmelzungsmodell» … eine sehr sinnvolle und wertvolle Ergänzung, wie ich finde. Ich habe mir deshalb erlaubt, meine bisherigen Modellumschreibungen zu überarbeiten und dieses sechste Modell mit aufzunehmen.

Die Modellbeschreibungen – samt einem Vorschlag, wie man mit ihnen im Schulteam arbeiten könnte – liegen zwei Versionen vor:

• Version 1 richtet sich an Schulen in der deutschsprachigen Schweiz. Hier werden die Begriffe «Klassenlehrperson» und «Schulische Heilpädagogin» resp. «Schulischer Heilpädagoge» sowie das Kürzel «SHP» verwendet.

• Version 2 richtet sich an deutschsprachige Schule außerhalb der Schweiz. Hier wählte ich die Begriffe «Lehrperson» und «sonderpädagogische Fachperson» – und ich habe mich bemüht, das in der Schweiz nicht gebräuchliche «ß» korrekt zu setzen.

Für beide Versionen steht sowohl eine PowerPoint-Präsentation als auch ein pdf-Dokument als Handout zur Verfügung. All das ist in einen zip-Ordner gepackt und kann hier heruntergeladen werden.

ICF-Mindmaps wurden überarbeitet – und in die französische Sprache übersetzt

Die ICF-Mindmaps habe ich vor mehreren Jahren erstellt, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass sonderpädagogisch und schulpsychologisch tätige Fachpersonen lieber mit ihnen als mit dem Buch arbeiten.

Derzeit wird in Pilotregionen des Kantons Bern das Standardisierte Abklärungsverfahren (SAV) eingeführt. Für die deutschsprachigen Schulpsychologinnen und Schulpsychologen standen ICF-Mindmaps zur Verfügung … für die französischsprachigen nicht. «Sur mandat de la Direction de l’instruction publique du canton de Berne» hat Ariane Paccaud von der PHZH die ICF-Mindmaps übersetzt.

Auch die deutschsprachigen Mindmaps konnten von der Übersetzung profitieren: Ariane Paccaud hat mich auf kleine Fehler aufmerksam gemacht – und neu sind die ICF-Mindmaps mit Seitenzahlen versehen, so dass man die einzelnen Domänen und Bereich rascher auffindet.

Die ICF-Mindmaps sind auf peterlienhard.ch herunterladbar, oder über die folgenden Direkt-Links in der deutschsprachigen und in der französischsprachigen Version.

Spitzenköche kochen mit Kindern und Jugendlichen mit Down-Syndrom

46PLUS kocht voll lecker (2019). © 46PLUS DOWN-SYNODROM STUTTGART e.V., ISBN 978-3-86256-093-6, Bestell-Nummer 590.093

Nach einem Vortrag in Stuttgart zum Thema «Inklusive Schulentwicklung – visionär denken, pragmatisch handeln» habe ich dieses tolle Kochbuch geschenkt bekommen (herzlichen Dank nochmals an Albrecht Gaiser!). Mehr als ein Dutzend Spitzenköche kochen darin mit einem Mädchen oder einem Jungen mit Down-Syndrom deren Lieblingsgericht. Die Fotos zeigen, dass sowohl die jungen «Sous Chefs» als auch die Profiköche mit großem Spaß und Inbrunst bei der Sache waren. Eine umwerfend gute Idee, diese wohl für beide Seiten unvergesslichen Aktivitäten Wirklichkeit werden zu lassen. Beim Lesen kriegt man definitiv Lust, dabei zu sein … beim Kommunizieren, Ausprobieren, Lachen, Lernen und Genießen.

Im Buch sind darüber hinaus auch weitere Rezepte der Spitzenköche abgedruckt … auch hier werde ich sicherlich das eine oder andere Rezept nachkochen. Zudem wurde mit jedem Kochprofi ein Interview gemacht, bei dem jeweils die gleichen Fragen gestellt wurden. Man lernt viel über das Kochen, über sie als Menschen und auch über ihre (für sie meist neue) Erfahrung, einen Menschen mit Down-Syndrom beim gemeinsamen Tun kennengelernt zu haben.

Das Buch ist über diesen Link bestellbar … oder in jeder Buchhandlung. Es kostet rund 20 Euro.

Was gemeinsames Lernen fördert – und verhindert (2)

(Bild: Screenshot Tele Z)

Vor rund einem Jahr hielt ich in Winterthur im Rahmen einer Pro Infirmis-Veranstaltung ein kurzes Referat zum Thema «Was gemeinsames Lernen fördert – und verhindert» (siehe Blogbeitrag weiter unten). Am 26. März 2019 wurde in Uster eine vergleichbare Veranstaltung durchgeführt (Link zu den kommentierten Folien meines Referats). In diesem Zusammenhang wurde ich für mehrere Interviews angefragt.

Kurzinterview im «Landboten» (link > pdf),

Längeres Interview im «Zürcher Oberländer» (link > pdf)

Halbstündiger Talk in deutschschweizerischem Dialekt auf Tele Z (link > YouTube)

Schulassistent/in werden – trotz kognitiver Beeinträchtigung

(Bild: NZZ am Sonntag)

Das ist Lucien Le. Er absolviert gerade ein Praktikum an der Grundstufe der Gesamtschule Unterstrass. Ausgebildet wird er am Institut Unterstrass, einen Lehrerbildungsstätte, die mit der Pädagogischen Hochschule Zürich assoziiert ist.

Lucien Le hatte keinen einfachen Start ins Leben: Während seiner Geburt trat ein Sauerstoffmangel auf, der irreparable Schäden an seinem Gehirn verursachte. Er ist  körperlich und kognitiv beeinträchtigt.

Derzeit wird er am Institut Unterstrass im Rahmen des Projekts «écolsiv» zum Schulassistenten ausgebildet. Pro Jahrgang eines Lehrerbildungs-Ausbildungsgangs haben zwei junge Menschen mit Beeinträchtigung diese Chance. Die Ziele und Inhalte der Ausbildung werden individuell an die Kompetenzen dieser Studierenden angepasst.

Ein Artikel der NZZ (online-Link Artikel; download Artikel; Film-Interview mit Lucien Le) am Sonntag zeigt eindrücklich auf, wie engagiert und unkompliziert diese in der Schweiz einzigartige Ausbildungsmöglichkeit erprobt und umgesetzt wird. Einzig der Haupttitel des Artikels («Lehrer trotz allem») ist nicht ganz glücklich gewählt: Es geht in diesem Projekt nicht darum, Lehrpersonen auszubilden, sondern Assistenzpersonen, die unter der Verantwortung von regulären Lehrpersonen einen wertvollen Beitrag im Rahmen der Volksschule leisten können.

Ein tolles Projekt … und ein tolles Interview mit Stephan Böhm im Anschluss an den Artikel (Stephan Böhm ist Professor für Betriebswirtschaft und Direktor des «Center for Disability and Integration» an der Uni St. Gallen).

Schulische Integration managen: Aus den Erfahrungen Winterthurs lernen

Im Herbst 2013 schickte die Zentralschulpflege Winterthur ein Entwicklungsprojekt mit grossen und wichtigen Zielen auf den Weg. Der Hauptfokus ist dem Projekttitel zu entnehmen: «SIRMa» steht für «Stärkung der Integrationskraft der Regelschule durch Ressourcenmanagement». Die Schulen sollten unter anderem die Möglichkeit erhalten, finanzielle Ressourcen, die bisher für externe Sonderschulungen verwendet wurden, flexibel und bedarfsgerecht an der eigenen Schule einzusetzen. Die Winterthurer Regelschule würde integrativer und tragfähiger, Sonderschulungen würden zurückgehen.

Schon bald zeigte sich jedoch, dass diese zentralen Projektziele trotz hohem Engagement der Beteiligten nicht erreicht werden konnten: Der Anteil der Schülerinnen und Schülern mit Sonderschulstatus nahm nicht ab, sondern zu. Die erhoffte Umlagerung von finanziellen Ressourcen fand kaum statt.

Wie vorgesehen wurde SIRMa nach einigen Jahren wissenschaftlich evaluiert. Der Evaluationsbericht zeigt mit grosser Klarheit Zusammenhänge und Gründe auf, weshalb etliche Projektziele von SIRMa nicht oder nur teilweise haben erreicht werden können. Er macht aber auch konkrete Vorschläge, wie die (nach wie vor richtigen und sinnvollen) Projektziele erreicht werden können. Gerade deshalb ist der Evaluationsbericht nicht nur wertvoll für die Schule Winterthur, sondern für alle Schulen, Schulleitungen und Schulbehörden, die ähnliche Ziele anvisieren.

> Hilfreicher Beitrag mit dem Wichtigsten in Kürze aus der Feder des Evaluationsleiters Christian Liesen, ZHAW, Institut für Sozialmanagement (21.06.2018)
> Evaluationsbericht «Evaluation der Umsetzung des Konzepts SIRMa: Stärkung der Integrationskraft der Regelschule durch Ressourcenmanagement» (27.03.2018)
> Medienmitteilung der Zentralschulpflege Winterthur bezogen auf ein bereits beschlossenes Nachfolgeprojekt, welches die Erkenntnisse der Evaluation aufnimmt (19.04.2018)

Was gemeinsames Lernen fördert – und verhindert (1)

Am 7. März 2018 organisierte Pro Infirmis Zürich eine Podiumsveranstaltung zum Thema «Schule für alle – ein Wagnis?». Das Podium unter der Leitung von Cornelia Kazis war spannend und breit zusammengesetzt (siehe Flyer).

In diesem Rahmen durfte ich ein 20-minütiges Input-Referat beisteuern. Ich gestaltete es entlang der folgenden fünf Thesen:

(1) Gelingende Integration hängt nicht in erster Linie vom betreffenden Kind ab
(2) Homogenitäts-Sehnsucht ist Gift für die schulische Integration
(3) Man weiss nur dann, ob etwas funktioniert, wenn man es auszuprobieren wagt
(4) Integration bedeutet «mit Anderen geteilte Lebenswelt»
(5) Nicht immer ist die maximale Förderung die optimale Förderung

Ich habe meine (meist bildhaft gestalteten) Folien mit Kommentaren versehen, damit man meine wichtigsten Aussagen nachvollziehen kann. Die Folien sind als pdf-Datei hier herunterladbar.

Hilfreiches Erklärvideo zu den SSG-Spickzetteln

Im letzten Blog-Eintrag wurde das praktische Hilfmittel SSG-Spickzettel vorgestellt. Nun hat das Schulamt der Stadt Zürich nochmals nachgelegt: Es hat ein genial gemachtes Erklärvideo entwickelt und zur freien Verfügung gestellt. Das Video zeigt in nicht einmal fünf Minuten anschaulich auf, wie vielfältig die SSG-Spickzettel eingesetzt werden können.

Das Erklärvideo kann direkt auf der Website des Schulamts oder auf YouTube angeschaut werden. Wer die Filmdatei herunterladen möchte, kann das hier tun (mp4, 42MB).

Die mündlichen Erklärungen sind in Deutschschweizer Dialekt gehalten. Deutsche Untertitel können in der YouTube-Ansicht hinzugeschaltet werden (einfach rechts unten im Videobild das «CC»-Symbol anklicken).

SSG-Spickzettel – eine praktische Hilfe fürs Schulische Standortgespräch

Das Verfahren «Schulische Standortgespräche» (SSG) kommt nicht nur im Kanton Zürich zur Anwendung, wenn es darum geht, gemeinsam mit den Eltern und dem Lernenden die aktuelle Situation konstruktiv und zielorientiert zu besprechen. Um diese Gespräche noch besser führen zu können, hat das Schulamt der Stadt Zürich ein überzeugendes Hilfsmittel in Form von acht A4-Karten entwickelt und frei zur Verfügung gestellt: die «SSG-Spickzettel». Sie können flexibel eingesetzt werden, um
– sich auf ein SSG vorzubereiten,
– im Schulteam den Umgang mit dem SSG zu thematisieren,
– an Elternabenden das SSG zu erklären
– oder am SSG selber die Gesprächsphasen zu visualisieren.

Die Karten sind doppelseitig bedruckt. Jeweils vorne ist ein bestimmter Fokuspunkt (z.B. «Schwerpunkte finden») bildlich dargestellt. Auf der Rückseite sind wichtige Erläuterung dazu in knapper Form aufgeführt.

Es gibt drei Typen von Karten: Die erste Karte ist sozusagen eine «Übersichtskarte»; auf ihr sind wichtige Informationen zum SSG zusammengefasst. Drei Karten zeigen, welche Leitgedanken hinter dem SSG stehen. Die restlichen vier Karten erläutern die vier Gesprächsphasen des SSG (Vorbereiten, Schwerpunkte finden, Verstehen, Planen und Überprüfen).

Die SSG-Spickzettel richten sich an Lehrpersonen und andere Fachpersonen, die das SSG bereits kennen. Sie eignen sich entsprechend nicht als grundlegende Einführung ins Verfahren, sondern dienen als Unterstützung, Ergänzung, Visualisierung.

Die SSG-Spickzettel können hier heruntergeladen werden (pdf-Datei, 5.4MB). Es empfiehlt sich, sie farbig und doppelseitig auf etwas festeres Papier auszudrucken. Wenn sie anschliessend auch noch laminiert werden, kommen sie perfekt daher.

Wie lässt sich die integrative Förderung auf der Sekundarstufe I optimieren?

(Bild und Text: HfH Zürich) Integrative Schulungsformen sind auf der Primarstufe seit etlichen Jahren etabliert. Eine zunehmende Anzahl integrativ geschulter Schülerinnen und Schüler steht vor dem Übertritt in die Sekundarstufe I – eine herausfordernde Situation für die sonderpädagogische Förderung aufgrund der bestehenden Strukturen und der knappen Ressourcen in den Sekundarschulen.

Aus diesem Grund wurde an der HfH die Handreichung «Wege zur integrativen Förderung in der Sekundarschule» entwickelt, im Sinne einer Orientierungs- und Entscheidungshilfe für Schulleitungen, Schulteams und Schulbehörden. Sie kann als Leitlinie dienen bei der Reflexion der aktuellen integrativen Förderpraxis sowie bei Entwicklungsprozessen hin zu deren Optimierung. Die Handreichung beleuchtet die folgenden Themen:

  • Besondere Bedingungen und Herausforderungen der integrativen Förderung auf der Sekundarstufe I
  • Fachpersonen in Schulischer Heilpädagogik: Rolle und Kompetenzanforderungen
  • Zwei Modelle und Entwicklungsperspektiven für die integrative Förderung auf der Sekundarstufe I: Schulen mit Lernlandschaften, Schulen mit Förderzentrum

Schulen, die eine externe Begleitung bei diesem Entwicklungsprozess in Erwägung ziehen, können mit der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) Kontakt aufnehmen. Weitere Informationen dazu sind hier zu finden.

Nachhallende Schulzimmer stressen … nicht nur hörbehinderte Lernende

Bei Unterrichtsbesuchen treffe ich immer wieder Schulzimmer an, die einen starken Nachhall haben. Nur schon das blosse Dabeisein löst nach einiger Zeit Stress aus. Das Zuhören ist mit einem erhöhten Aufwand verbunden. Normale Arbeitsgeräusche und Lerngespräche werden als belastender Lärm empfunden.

Schuld daran sind meist nicht zu stimmgewaltige Lehrpersonen oder zu laute Lernende, sondern akustisch katastrophale Schulzimmer. Wenn nun ein hörbehindertes Kind in einer solchen Umgebung gewinnbringend lernen soll, ist es mehr oder weniger aufgeschmissen. Das darf nicht sein. Es hat – unter anderem aufgrund des Behindertengleichstellungsgesetzes – Anrecht auf akustisch günstige Schulräume mit schalldämmendenden Massnahmen.

Der Schweizerische Verband für Gehörlosen- und Hörgeschädigtenorganisationen SONOS hat eine sehr hilfreiche Broschüre herausgegeben, die aufzeigt, was konkret vorgekehrt werden kann, um Lernräume für hörgeschädigte Schülerinnen und Schüler barrierefrei zu gestalten.

Ich denke, dass man einen Schritt weiter gehen sollte. Meines Erachtens müssen zumindest einzelne dieser schalldämmenden Massnahmen in sämtlichen Schulzimmern zum Tragen kommen. Sowohl Lernende als auch Lehrende werden stressärmer arbeiten und kommunizieren können, sich dadurch lieber in diesem Raum aufhalten und, so ist zu vermuten, bessere Lernresultate zeigen.

Die Broschüre ist hier herunterladbar (pdf-Datei, 7MB).

ICF-CY-Mindmaps zur freien Verfügung

Die Arbeit mit der ICF-CY* in Buch- oder Onlineform fällt vielen Kolleginnen und Kollegen schwer, weil angesichts der zahlreichen Items der Überblick leicht verloren geht. Aus diesem Grund habe ich für Fachstellen und Schulen, die ich im Rahmen der Weiterentwicklung ihrer Förderdiagnostik und Förderplanung begleite, übersichtliche ICF-CY-Mindmaps erstellt. Ich stelle sie hier gerne zur freien Verfügung (download pdf-Datei).

AKTUALISIERUNG HERBST 2019: Die ICF-Mindmaps wurden optimiert. Beachten Sie bitte diesen Blog-Eintrag.

*ICF-CY: Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen der Weltgesundheitsorganisation WHO (Link)

Moderationsvariante für das «Schulische Standortgespräch»

ssg_maur_ausgefuelltDas Verfahren «Schulische Standortgespräche» (SSG) hat sich weit über den Kanton Zürich hinaus verbreitet. Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Bandbreite der Anwendung immens ist: Einzelne Lehrpersonen gehen virtuos und im positiven Sinne kreativ mit diesem Verfahren um. Andere vermeiden die vorgesehene Gesprächsstruktur und nehmen «Abkürzungen», indem sie Gesprächsphasen überhüpfen und lediglich das Kurzprotokoll ausfüllen.

Manchmal gibt es auch gute Gründe, weshalb das SSG in der angedachten Form nicht so richtig passt. Insbesondere ist das Verfahren bei sehr grossen Runden eine enorme Herausforderung … bei Schülerinnen und Schülern mit komplexem Störungsbild können das auch einmal zehn Personen oder mehr sein. Kein Wunder, dass das Verfahren SSG hier an seine Grenzen stösst: Es wurde ursprünglich für übersichtliche Runden von vielleicht maximal sechs Personen konzipiert.

Vor einiger Zeit hat mich die Schule Maur ZH angefragt, ob ich zusammen mit ihnen eine Moderationsform überlegen könnte, die auch bei grossen Runden funktioniert, zielorientiert und irgendwie auch lustvoll ist. Gemeinsam haben wir eine Form entwickelt, die einen einfachen und klaren Ablauf hat, verschiedene Moderationsvarianten zulässt (bis hin zu dynamischen Flip-Chart-Lösungen), alle Phasen des SSG abdeckt und letztlich im wohlbekannten SSG-Kurzprotokoll mündet.

Diese SSG-Variante ist nicht nur für grosse SSG-Runden geeignet, sondern kann auch bei ganz «normalen» Schulischen Standortgesprächen verwendet werden und damit eine willkommene Abwechslung sein.

In einem zip-Ordner sind alle notwendigen Dateien enthalten: eine Kurzanleitung, Protokollblätter sowie ein ausgefülltes Beispiel.

Eine neue und hilfreiche Sicht auf die Diagnose «ADHS»

jenniDie Diagnose «Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung» (ADHS) ist herausfordernd, komplex, nicht optimal trennscharf … und aus diesem Grund in vielen Fällen umstritten und anfechtbar. Gleichzeitig wissen viele von uns aus eigener Erfahrung, dass es Kinder, Jugendliche und Erwachsene gibt, die nachvollziehbar mit grossen Handicaps bezüglich ihrer Aufmerksamkeits- und Aktivitätssteuerung zu kämpfen haben. Die in diesem Zusammenhang oft gestellte Schwarz-Weiss-Frage «Ist das jetzt wirklich ein ADHS oder nicht?» kommt dann regelmässig auf, bringt aber im Alltag nicht allzu viel, weil sie nur ungenügend handlungsleitend ist.

Oskar Jenni (Leitender Arzt am Kinderspital Zürich, Abteilung Entwicklungspädiatrie) legt einen neuen Ansatz vor, der meiner Meinung nach wirklich weiterhilft: Er versteht ADHS als Spektrumsstörung, bei der nicht nur auf den betroffenen Menschen selbst fokussiert werden soll, sondern systematisch auch auf das Umfeld mit seinen Erwartungen, Ressourcen und Grenzen. Besonders wichtig ist ihm auch die Einschätzung des subjektiv empfundenen Leidensdrucks des Kindes oder Jugendlichen selbst.

Jenni ist es gelungen, eine hilfreiche Konzeption gut nachvollziehbar und kompakt zu übermitteln … ein Fachartikel, wie er sein soll.

Download Fachartikel (Monatszeitschrift Kinderheilkunde 2016/164:271-277, online publiziert am 29.01.2016)

Schulische Integration im Kanton Graubünden: SHP sehen mehrheitlich positive Effekte

LEGR_grafiken_2Der Verband Lehrpersonen Graubünden (LEGR) hat 2015 die Schulischen Heilpädagog/innen (SHP)* im Kanton zur Thematik der schulischen Intergration befragt. Zwei Drittel (180 SHP) haben geantwortet und ist somit repräsentativ.

Die Resultate sind ingesamt erfreulich (siehe Bild mit den beiden «Kuchengrafiken» … ein Klick auf das Bild macht es grösser): 80% sagen aus, dass sich die schulische Integration positiv oder eher positiv auf die Schüler/innen mit besonderem Förderbedarf auswirkt. Rund zwei Drittel geben an, dass durch diese Schulungsform auch der Lernerfolg der gesamten Klasse positiv oder eher positiv beeinflusst würde. (Bei dieser Antwort haben 23% der Befragten «weiss nicht» angeklickt. Blendet man diese aus, sind über 80% der Antworten im positiven Bereich.) Bei beiden Fragen fällt auf, dass in keinem Fall ein vollumfänglich negativer Effekt zurückgemeldet wurde.

Weiter haben die Befragten ausgesagt, dass
– ein differenzierter Unterricht allen Schüler/innen zugute käme,
– die soziale Kompetenzen innerhalb der ganzen Klasse gestärkt würden
– und dass die Zusammenarbeit im Tandem Klassenlehrperson/SHP bereichernd sei (90% der SHP empfinden die Zusammenarbeit mit den Klassenlehrpersonen als zielführend; in einer früheren Umfrage haben zu dieser Frage 83% der Klassenlehrpersonen eine positive Einschätzung abgegeben).

Als herausfordernd und schwierig erachten die Befragten SHP die Integration von stark verhaltensauffälligen Schüler/innen sowie die Situation von Klassen, in denen sehr viele Kinder mit besonderem Förderbedarf versammelt sind. Beides könne die positiven Integrationseffekt zum Kippen bringen.

Mehrfach erwähnt wurde darüber hinaus, dass eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit der Lehrpersonen untereinander eine unverzichtbare Grundlage für eine erfolgreiche schulische Integration sei. Und: Integration sei ganz klar eine Schulführungsaufgabe – ohne kompetente Schulleitungen sei eine nachhaltige integrative Schule nicht denkbar.

Link zur Mitteilung des Verbands Lehrpersonen Graubünden (LEGR)
Alle Informationen zur Umfrage (alle Antworten im Detail sowie Präsentationsfolien in einer zip-Datei)

*Für Leser/innen aus Deuschland: Schulische Heilpädagog/innen (SHP) sind Lehrpersonen mit zusätzlichem (in der Regel Master-) Abschluss im sonderpädagogischen Bereich.

Kontradiktorische Gesprächssendung zu schulischer Integration

2015_09_forum_srfAuf Radio SRF 1 wurde am 25.09.2015 eine Diskussionssendung zum Thema schulische Integration ausgestrahlt. Der Moderator Christian von Burg sprach mit den folgenden Gästen im Studio:
– Petra Lüthi, Mutter eines Kindes mit Trisomie 21
– Roland Stark, ehemaliger Kleinklassenlehrer
– Peter Lienhard, Interkantonale Hochschule für Heilpädagogik
In die knapp einstündige Live-Sendung wurden sowohl Aussagen aus einem Online-Forum als auch Telefonanrufe von Zuhörenden zugeschaltet.

Der Gesprächsverlauf zeigt die Grenzen solcher Sendungen auf: Man wird eingeladen, weil man zu einer bestimmten Überzeugung neigt (im vorliegenden Fall kam mir die Rolle des Integrations-Befürworters zu). Die Rollenzuschreibungen sowie die Tatsache, dass die enorm komplexe Thematik für eine breite Zuhörerschaft nur bedingt in der notwendigen Klarheit und Differenziertheit dargestellt werden kann, hinterlässt ein etwas schales Gefühl. Ich habe jedoch die Gesprächsführung und die Gesprächskultur am Studiotisch durchaus als positiv erlebt.

Das Gespräch wurde in Deutschschweizer Dialekt geführt. Die Sendung ist wie folgt zugänglich:
Link zu srf 1 (Informationen, online-hören, Download als Podcast)
– direkter Download als mp3-Datei (53 MB)

Grundschulen auf Rügen arbeiten präventiv und integrativ

ruegen_blog_1Die Insel Rügen liegt im äußersten Nordosten Deutschlands. Das muss nicht bedeuten, dass sich die dortigen Grundschulen entwicklungsmäßig hinter dem Mond befinden: Im Rahmen einer Studienreise der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) Zürich Ende April 2015 konnten wir uns davon überzeugen, dass dem nicht so ist.

Zu Beginn des Schuljahres 2010/11 wurde in allen Rügener Grundschulen mit Unterstützung der Uni Rostock ein umfassender Entwicklungsprozess gestartet. Er läuft unter den Bezeichnungen «Rügener Inklusionsmodel» (RIM) und «Präventive und Integrative Schule auf Rügen» (PISaR). Mir persönlich gefällt die etwas weniger vollmundige zweite Bezeichnung besser.

Das Rügener Modell hat zum Ziel,
– durch präventive Maßnahmen auf verschiedenen Ebenen
– sowie eine evidenzbasierte Praxis und Diagnostik
– und eine systematische Lernfortschrittsdokumentation
den Lernerfolg möglichst aller Schülerinnen und Schüler zu sichern. Das bedeutet unter anderem, dass man sich evidenzbasiert auf bestimmte Lehrmittel geeinigt hat und einheitliche Instrumente zur Lernstanderfassung einführte.

Wie schafft man einen solchen Veränderungsprozess im Umfeld Schule, in welchem die Lehr(mittel)freiheit ausgesprochen stark gewichtet wird? Continue reading ‘Grundschulen auf Rügen arbeiten präventiv und integrativ’ »

«Rezeptbuch schulische Integration» ist in zweiter, aktualisierter Auflage erschienen

rezeptbuch_zweite_auflageIm Jahr 2011 erschien das «Rezeptbuch schulische Integration», das ich gemeinsam mit Klaus Joller-Graf und Belinda Mettauer Szaday verfasst habe. Das Interesse an diesem Buch war erfreulich: Es wurde viermal nachgedruckt.

Obwohl vier Jahre keine Ewigkeit sind, hatten wir das Bedürfnis, verschiedene Inhalte zu aktualisieren … nur einige wenige, wie wir zunächst dachten. Nach und nach entschieden wir uns jedoch, etliche Passagen zu überarbeiten:
⇒ Aktuelle Forschungsergebnisse zur Wirkung der Integration wurden eingearbeitet.
⇒ Die didaktische Prinzipien für einen guten Integrativen Unterricht wurden neu strukturiert und konkretisiert.
⇒ Das Kapitel «Förderdiagnostik und Förderplanung» wurde deutlich überarbeitet und mit einem Abschnitt zum Thema «Nachteilsausgleich» ergänzt.
⇒ Das Kapitel «So kann schulische Integration gelingen» wurde in den Bereichen «Aufgabenteilung zwischen Lehrpersonen und Fachpersonen für Schulische Heilpädagogik» sowie «Führungs- und Steuerungsaufgaben von Schulleitungen im Bereich Sonderpädagogik» angereichert.
⇒ Die Hinweise zu empfehlenswerten Büchern, Materialien und Medien wurden aktualisiert.

Das Inhaltsverzeichnis und die Vorworte zu den Auflagen 1 und 2 können hier heruntergeladen werden: pdf-Datei, 5.2 MB

Das Buch kann hier bestellt werden: direkt beim Haupt-Verlag, bei ex libris, bei buch.ch, bei amazon.de

Referat «Nachteilsausgleich» (Screencast, 44 Min.)

bild_nta_video_blogLehrpersonen und Schulleitungen werden immer häufiger mit dem Thema «Nachteilsausgleich» konfrontiert. Teilweise herrscht dabei eine grosse Verunsicherung: Welche Schülerinnen und Schüler haben Anrecht auf einen Nachteilsausgleich? Und falls sie das haben: Wie werden Nachteilsausgleichsmassnahmen im schulischen Alltag konkret umgesetzt? Und wie stellen wir sicher, dass diese Massnahmen für alle Beteiligten fair sind?

In diesem 44-minütigen Referat erwartet Sie das Folgende:
⇒ Sie lernen die wichtigsten gesetzlichen Grundlagen des Nachteilsausgleichs kennen (bezogen auf die Schweiz).
⇒ Anschliessend stelle ich Ihnen zentrale Merkmale und Prinzipen vor.
⇒ Anhand von kurz umrissenen Fallbeispielen werden Massnahmen des Nachteilsausgleichs von anderen (sonder)pädagogischen Massnahmen abgegrenzt.
⇒ Und schliesslich erhalten Sie Hinweise zu hilfreichen Unterlagen, die Ihnen helfen, Nachteilsausgleichsmassnahmen im schulischen Alltag klar und gerecht umzusetzen.

Hier kommen Sie direkt zum Referat auf YouTube.
Die Folien zum Referat sowie weitere hilfreiche Unterlagen können Sie über diesen Link (zip-Ordner, 5.6 MB) herunterladen.

Überarbeitete Version des «Standardisierten Abklärungsverahrens» (SAV) liegt vor

sav_2014Als die erste Version des «Standardisierten Abklärungsverfahrens» (SAV) im Frühling 2011 veröffentlicht wurde, konnte man bereits auf eine gewisse Praxiserfahrung bauen. Denn schliesslich wurde das Verfahren nicht von Judith Hollenweger (PHZH), Peter Lienhard (HfH) und Patrick Bonvin (HEP-VD) allein entwickelt, sondern gemeinsam mit Dutzenden von diagnostisch tätigen Fachpersonen. Der wirklich grosse Praxistest hat aber in den letzten zwei Jahren stattgefunden, als abklärende Dienste in verschiedenen Regionen der Schweiz begonnen haben, das SAV verbindlich einzusetzen.

Im Auftrag der Schweizerischen Konferenz der Erziehungsdirektoren (EDK) hat das Schweizer Zentrum für Heil- und Sonderpädagogik (SZH) die gemachten Erfahrungen mit dem SAV systematisch erhoben. Eine gut sortierte Begleitgruppe hat diesen Prozess begleitet. Die drei Entwickeler/innen des SAV wurden in die Überarbeitung mit einbezogen.

Nun liegt die überarbeitete Form des SAV vor. Beibehalten wurden sowohl die Strukturierung in «Basisabklärung» und «Bedarfsabklärung» als auch die einzelnen Unterelemente. Verbesserungen wurden im Detail vollzogen, um mehr Klarheit und Verständlichkeit zu erlangen. Welche Anpassungen konkret gemacht wurden, ist hier beschrieben.

Besonders wichtig scheint mir die folgende Änderung zu sein: Weil das SAV einen starken Fokus auf Entwicklungs- und Bildungsziele legt, die für den betreffenden Menschen relevant erscheinen, kommt dem Element «Einschätzung der Entwicklungs- und Bildungsziele anhand von ICF-Lebensbereichen» eine zentrale Bedeutung zu. In der ersten SAV-Variante erwies sich die Gestaltung dieses Elements als zu kompliziert und kaum praxistauglich. Es wurde nun deutlich vereinfacht und erlaubt neu auch die Setzung von Schwerpunktbereichen für die zuküntige Förderung.

Das überarbeitete Handbuch ist hier herunterladbar: (pdf (0.5 MB).
Das Instrument (SAV-Formular) im Überblick (pdf (0.1 MB).
Das Wichtigste in Kürze: Was ist an der überarbeiteten Version 2014 neu? (pdf (0.2 MB).
Weitere Informationen zum Standardisierten Abklärungsverfahren gibt es hier.

Hilfreicher Orientierungsrahmen für Massnahmen des Nachteilsausgleichs

graphik_nachteilsausgleichSchulen und andere Ausbildungsinstitutionen werden immer häufiger mit dem Thema «Nachteilsausgleich» konfrontiert. Massnahmen des Nachteilsausgleichs sollen Menschen mit einer Funktionseinschränkung – aber gutem Potenzial, um die Ausbildungsziele erreichen zu können – einen erfolgreichen Abschluss ermöglichen. Das wollen sowohl die Schweizerische Bundesverfassung als auch das Behindertengleichstellungsgesetz – und das ist gut so.

Massnahmen des Nachteilsausgleichs sind aber delikat: Es handelt sich um «Ungleichbehandlungen» mit dem Ziel, «Gleichbehandlung» zu erreichen. Bei einem Stotterer, der eine mündliche Prüfung zu bestehen hat, aber in der vorgesehenen Zeit zu wenig zeigen kann, was er wirklich weiss, leuchtet wohl allen ein, dass er eine Massnahme des Nachteilsausgleichs zugute hat – nämlich mehr Zeit für das Ablegen der mündlichen Prüfung. In anderen Fällen ist die Sache nicht so klar. Und immer dann, wenn fraglich ist, ob jemand durch eine Nachteilsausgleichsmassnahme bevorzugt wird (oder ob bei dieser Person Abstriche bei der geforderten Leistung gemacht werden), stellen sich Fragen der Gerechtigkeit und der Gleichbehandlung.

Der vorliegende «Orientierungsrahmen Nachteilsausgleich» soll helfen, Massnahmen des Nachteilsausgleichs von anderen Massnahmen (z.B. sonderpädagogischer Unterstützung, Notenverzicht, Dispensationen, individuellen Lernzielen) unterscheiden zu können. Zudem werden wichtige Leitplanken und Schlüsselfragen für eine transparente und faire Vereinbarung von Nachteilsausgleichsmassnahmen aufgezeigt.

Der Orientierungsrahmen orientiert sich an der «Wegleitung Nachteilsausgleich» (Henrich et al., 2012). Diese Publikation ist im oben angegebenen Link ebenfalls zum Download bereitgestellt.

Artikel in der Zeitschrift Gymnasium Helveticum 5/2014 «Nachteilsausgleich – oder die Herausforderung, Gerechtigkeit durch Ungleichbehandlung herzustellen» (pdf, 8.8 MB)

Stein um Stein – ein empfehlenswertes Instrumentarium zur Lernstandserfassung im Kindergarten

stein_um_steinAlljährlich nach den Sommerferien: Zur Kindergartenklasse stossen rund zehn «Kleine» hinzu. Alle Kindergärtnerinnen und Kindergärtner wissen um die enorme Heterogenität bezüglich Entwicklungsstand und Kompetenzen dieser Kinder. Zusammen mit der Fachperson für Schulische Heilpädagogik gilt es, sich innert nützlicher Zeit ein Bild darüber zu machen, welche Kinder in ihrer Lernentwicklung auf besondere Unterstützung angewiesen sind.

Theres Züst, Heidi Manzanell und Conny Solcà Porcedda haben im Rahmen einer Masterarbeit an der HfH ein Instrumentarium entwickelt, das rasch, praxisnah und fachlich überzeugend einen Überblick über die Kompetenzen der einzelnen Kinder geben kann. Eingebettet in eine Zwergengeschichte werden im Rahmen einer Werkstatt mit der ganzen Klasse verschiedene Aufgaben gelöst. Dabei helfen mehrere Hilfsmittel (z.B. Werkstattpass, Klassenraster) den Überblick zu behalten. Das Instrument ist theoretisch gut abgestützt und entlang der ICF-basierten Lebensbereichen des Verfahrens «Schulische Standortgespräche» gegliedert.

Das Instrumentarium liegt inzwischen in der 3., überarbeiteten Auflage vor. Es ist im Eigenverlag der Autorinnen erschienen und kann bei Heidi Manzanell oder Conny Solcà Poercedda bezogen werden (CHF 57 inkl. Porto & Verpackung). Einführungen ins Instrumentarium durch die Autorinnen (halb- oder ganztags) sind auf Anfrage möglich.

Video-Referat «Schritte auf dem Weg hin zur Inklusion – visionär denken, pragmatisch handeln»

2013_lienhard_luxembourgAm 15. März 2013 habe ich an der Tagung «Interdisziplinarität, Integration – Inklusion» in Luxembourg ein Referat gehalten mit dem Titel «Schritte auf dem Weg hin zur Inklusion – visionär denken, pragmatisch handeln» (Peter Lienhard-Tuggener, HfH Zürich). Darin formuliere ich Gelingensbedingungen für eine möglichst inklusive Schule auf drei Ebenen: Schulsystem, Schulhaus und Unterricht.

Dieser halbstündige Vortrag entspricht in weiten Teilen dem später gehaltenen (und leicht erweiterten) Referat «Konkrete Schritte auf dem Weg zu einer ‚Schule für alle‘ – auf vier Ebenen». Hier geht es zum entsprechenden Blog-Eintrag vom September 2013.

Ende November 2013 hat das Bildungsministerium des Staates Luxembourg die Videos sämtlicher Referate der Tagung «Interdisziplinarität, Integration – Inklusion» online gestellt – unter anderem auch Vorträge von Monika A. Vernooij, Sieglind Luise Ellger-Rüttgardt, Karl-Ernst Ackermann und Bernd Ahrbeck.

Direkter Link zum Referat auf Youtube
Handout zum Referat «Schritte auf dem Weg hin zur Inklusion – visionär denken, pragmatisch handeln»
Programm der Tagung (Tagungsleitung: Christian Wolzfeld, M.A., Ediff Luxembourg)

Modelle professioneller Zusammenarbeit im Unterricht

zahraeder_mit_modellenNoch vor wenigen Jahrezehnten wurden Lehrpersonen als Einzelkämpfer/innen ausgebildet. Das hat sich grundlegend geändert: Die heutige Schule ist ohne Zusammenarbeit nicht mehr vorstellbar. Die Frage ist nicht mehr das «Ob», sondern vielmehr das «Wie».

Weil immer wieder Schulteams auf mich zu kamen mit dem Anliegen, die Zusammenarbeit zwischen Regellehrpersonen und sonderpädagogischen Fachpersonen (namentlich Schulischen Heilpädagog/innen) zu reflektieren und zu optimieren, habe ich auf plakative (und auch leicht humorvolle) Art und Weise verschiedene Modelle der Zusammenarbeit skizziert

Die entsprechenden Beschreibungen sind hier herunterladbar. Enthalten ist auch ein Vorschlag, wie man im Schulteam mit diesen Modellen arbeiten kann, um die eigenen Formen der Zusammenarbeit zu reflektieren und weiterzuentwickeln.

Förderplanung auf der Basis der ICF – so kann sie gelingen

vds_sfh_smallZum 14. November 2013 wurde ich für ein Eingangsreferat nach Rostock eingeladen: Der deutsche Verband Sonderpädagogik e.V. (vds) hielt dort seine 46. Hauptversammlung ab. Erwartet wurde von mir das Aufzeigen eines Förderplanungszyklus, der sowohl in Förder- als auch in inklusiven Allgemeinen Schulen machbar ist.

Förderplanungsinstrumente bestehen ja zuhauf … das ist nicht dar Problem. Die große Herausforderung besteht darin, die Aufgabe der Förderplanung mit einem vertretbaren Aufwand leisten zu können – ohne aus fachlicher Sicht in einen Minimalismus abzugleiten. Einfache Rezepte dafür gibt es nicht; es bleibt wohl immer das Ringen nach einer möglichst optimalen Lösung.

Mein Referat ist in der aktuellen Nummer der Zeischrift für Heilpädagogik (4/2014, 128-136) nachzulesen. Eine Probeseite (die erste Seite des Artikels) ist hier herunterladbar. Die Zeitschrift für Heilpädagogik kann man hier erwerben – als Einzelnummer oder im Abonnement.

Die Unterlagen, die ich den Zuhörenden des Referats vom 14.11.2013 zur Verfügung stellte (Folien und weitere Materialien), sind hier herunterladbar.

Gleiche Qualitätsanforderungen ans Bildungsangebot – egal in welchem Setting Schüler/innen mit Behinderungen gefördert werden

argev-bericht_bildSchülerinnen und Schüler mit sehr hohem Förderbedarf – dieser steht in der Regel im Zusammenhang mit einer Behinderung – können in ganz unterschiedlichen Settings gefördert werden: in einer Heimsonderschule, einer Tagessonderschule, einer Integrationsklasse oder integrativ in einer Regelklasse. Ein sehr hoher Förderbedarf wird oft als «Bedarf an verstärkten Massnahmen» oder als «Sonderschulbedarf» bezeichnet.

Bis vor wenigen Jahren entschied der Förderort darüber, nach welchen Kriterien und Verfahren die Qualität des Bildungsangebots überprüft wurde. Regel- und Sonderschulen waren (auch) diesbezüglich getrennte Welten. Heute sind die Angebote durchlässiger geworden … und ganz automatisch stellt sich die Frage: «Wenn ein Schüler mit gleicher Symptomatik entweder in einer Sonderschule oder integriert in der Regelschule gefördert werden kann: Ist es in Ordnung, wenn zur Qualitätseinschätzung andere Massstäbe gelten und andere Evaluationsverfahren durchgeführt werden?»

Im Jahr 2009 nahm die Interkantonale Arbeitsgemeinschaft externe Evaluation von Schulen (ARGEV) diese Thematik auf und erteile der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich (HfH) den Auftrag, eine entsprechende Bestandesaufnahme in den Kantonen zu machen. Im Bericht von Christian Liesen und Peter Lienhard (pdf, 2.1 MB) wurde ersichtlich, dass die Evalutionsthemen und -bereiche im Regel- und Sonderschulbereich mehr Gemeinsamkeiten als Besonderheiten aufweisen.
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Inklusion zwischen Diskriminierungsverbot und «das geht nicht»

geteilte_lebensweltDer «Fall Henri» wird derzeit weit über Deutschland hinaus intensiv diskutiert. Dieser Junge mit Down-Syndrom hat die Primarschule integrativ besucht. Eine vergleichbare Weiterführung scheint nun nicht mehr möglich zu sein: Sowohl die Realschule als auch das Gymnasium vor Ort haben die Aufnahme von Henri abgelehnt (Beitrag NZZ online vom 20.05.2014, Beitrag SPIEGEL online vom 16.05.2014, sehr kritischer Artikel auf F.A.Z. online vom 20.05.2014).

Die Diskussion dieser Situation verläuft hoch kontrovers. Es tut sich ein Spannungsfeld auf zwischen «Inklusion ist gesetzt, das Diskriminierungsverbot gilt» und «das geht nicht, das macht doch keinen Sinn mehr». Geht man von einem regulären, herkömmlichen Unterricht in Real-, Sekundar- und Gymnasialklassen aus, ist die Frage nach der Sinnhaftigkeit tatsächlich zu stellen: Auch bei noch so geschickter Differenzierung wird es schwer fallen, Henri beispielsweise an einer Diskussion über den Ukraine-Konflikt oder an einer Mathematik-Lektion zum Thema Integralrechnung echt teilhaben zu lassen. Wer die Inklusionsfrage durch eine Schwarz-weiß-Brille betrachtet («Inklusion ist nur bei ständigem, 100-prozentigem gemeinsamem Lernen umgesetzt») wird sowohl die Schule als auch die betroffenen Schüler/innen in unlösbare Situationen rasseln lassen.

Wir brauchen eine Entkrampfung, um den Kopf frei zu bekommen für pragmatische, für alle Beteiligten lebbare Lösungen. Continue reading ‘Inklusion zwischen Diskriminierungsverbot und «das geht nicht»’ »

Sympathische Plakat-Aktion zum internationalen Down-Syndrom-Tag

bilder_down_blogPlakat-Aktionen, die Kinder, Jugendliche oder Erwachsene mit einer Behinderung zum Thema machen, sind immer eine Gratwanderung: Wie schafft man es, diese Menschen nicht vorzuführen, zu entwerten oder zu überhöhen?

Der Fotograf Philipp Koch hat diese Herausforderung im Auftrag von insieme21 angenommen … und meines Erachtens gut gelöst. Er bat 21 Kinder und Jugendiche mit Down-Syndrom (oder eben Trisomie 21) in sein Studio, um sie in einer Lieblingsrolle oder in einer von ihnen gerne eingenommenen Pose zu fotografieren. Ein kurzes Making-of-Video zeigt, wie die Fotos entstanden sind.

Einen Tag nach dem 21. März 2014, dem internationalen Down-Syndrom-Tag, fanden in sechs verschiedenen Bahnhöfen in der Deutschschweiz Vernissagen der Plakatausstellung statt. Ich war im Hauptbahnhof Zürich dabei. Das Zusammenkommen so vieler Mädchen und Jungen mit Down-Syndrom verlief in einer eindrücklichen Stimmung mit ganz viel Lebensfreude.

Diese positive Lebenseinstellung ist auch – zugegebenermassen hart an der Grenze der Über-Emotionalität – Thema eines Videoclips, in dem sich junge Menschen mit Down-Syndrom an künftige Eltern eines Kindes mit Trisomie 21 richten.

Konkrete Schritte auf dem Weg zu einer «Schule für alle» – auf vier Ebenen

liestal_breit_2zu1Was gibt es auf dem Weg hin zu einer «Schule für alle» zu bedenken und zu beachten? Ich habe versucht, relevante Punkte auf vier Ebenen zu formulieren:

Ebene «Forschung, Recht und Ethik»: Welche Vorgaben sind gesetzt? Welche Integrationseffekte sind forschungsmässig gut belegt, welche nicht? Was gehört zu einer echten Teilhabe, die über eine rein räumliche Integration hinausgeht?

Ebene «Schulsystem»: Welche strategischen Leitplanken sollten von Bildungspolitik und Bildungsverwaltung gesetzt werden? Wie offen oder eng sollen die Vorgaben bezüglich der Umsetzung der schulischen Integration sein … beispielsweise: Hat alles jederzeit gemeinsam in der Klasse zu erfolgen? Soll ein Teil der Sonderschulressourcen in die Regelschule umgelagert werden?

Ebene «Schulhaus»: Wie kann sich eine Schule organisieren, damit sowohl die Ressourcen sinnvoll und fair eingesetzt werden? Wie wird ein giesskannenartiges Versickern von wertvollen Förderstunden vermieden? Ist es sinnvoll oder gar notwendig, in einer «Schule für alle» einzelne Schüler/innen mit besonderem Förderbedarf zu «labeln»?

Ebene «Unterricht»: Kann eine «Schule für alle» ohne Unterrichtsentwicklung realisiert werden? Wie können wir es schaffen, einen differenzierten Unterricht zu entwickeln, ohne uns dabei zu überfordern?

Beim letzten Punkt habe ich – wie bereits mehrmals – das so genannte «Churer-Modell» vorgestellt, das mich in seiner Klarheit und Praktikabilität sehr überzeugt (Kurzbeschreibung des «Churer-Modells»: pdf-Datei, 2.2 MB … und hier geht es zur Homepage des Churer-Modells).

Das Handout meines Referats (pdf-Datei, 1.5 MB) dürfte zwar nicht alle Aspekte meiner mündlichen Ausführungen übermitteln, enthält aber die wichtigsten Kernaussagen sowie einen Link zu den Referatsfolien.

Blog «Integrative Schule» ist als Buch erschienen

bild_bloggingbook_lienhardEin Blog in Buchform … macht das Sinn? Diese Frage stellte sich mir, als eine Mitarbeiterin des Verlags «bloggingbooks» mit der Anfrage auf mich zukam, ob ich meinen Blog als Buch veröffentlichen möchte. Ich liess mich nach einigem Zögern schliesslich davon überzeugen, dass es durchaus Sinn machen könnte, das eher flüchtige Medium «Blog» so zu bearbeiten, dass es in der Darbietungsform «Buch» eine Berechtigung erlangen könnte.

Ich habe meine Blogbeiträge zunächst kritisch durchforstet: Allzu situative, nur kurzfristig interessante Beiträge habe ich gekippt. Die verbleibenden habe ich nach vier Themenschwerpunkten geordnet:
• Internationale Einblicke in integrative Schulen
• Umsetzung der Integration in Schule und Unterricht
• Diagnostik, Zusammenarbeit und Förderplanung
• Konzeptuelle und bildungspolitische Perspektiven der schulischen Integration

Natürlich hat dieses handliche Büchlein (74 Seiten) durchaus gewisse Parallelen zur Publikation Rezeptbuch schulische Integration, doch ist der Charakter der Schreibweise ein ziemlich anderer – wie dies eben in einem Blog so die Regel ist. Und weil die einzelnen Beiträge relativ kurz sind (eine halbe bis zwei Seiten), eignet sich diese Broschüre durchaus für den Nachttisch, das Klo oder die Kaffee-Ecke im Lehrerzimmer.

Weitere Informationen: Inhaltsverzeichnis (pdf-Datei) und «Werbeposter» (A3-Format, grössere pdf-Datei)

Bestellmöglichkeit via Ex Libris oder Amazon Deutschland

Nachtrag vom 12.12.2013: Das Buch ist neu auch für rund 3€ als Kindle-Edition erhältlich.

Inflation der Diagnosen ADHS und Autismusspektrumstörung

schuheIn den USA wird bereits jedem zehnten Kind die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zugeschrieben. Ähnlich rasant nehmen die diagnostizierten Autismusspektrumsstörungen (ASS) zu – auch in der Schweiz. Zwei lesenswerte Beiträge gehen der Frage nach, inwieweit diese Entwicklung hilfreich oder kontraproduktiv sei.

Der Kinderarzt Oskar Jenni – er leitet seit 2005 die Abteilung Entwicklungspädiatrie des Kinderspitals Zürich – plädiert für eine Anhebung der diagnostischen Schwelle (Artikel im Tages Anzeiger vom 20.04.2013, pdf 1.4 MB): Nur noch die schwersten Fälle sollen für eine psychiatrische Diagnose qualifizieren. Die Verhaltens- und Lernprobleme, die bei den «weicheren» Fällen bestehen, müssten durchaus ernst genommen werden, aber auf eine andere Art und Weise. Wichtig sei «die umfassende Beschreibung der Eigenheiten deines Kindes, seines Umfelds und der Probleme». Die inflationäre Zuschreibung dieser Diagnosen erachtet Jenni als kontraproduktiv. Er schliesst seinen Beitrag wie folgt: «Ein mutiger Schritt wäre, auf Diagnosen zu verzichten, die hauptsächlich auf subjektiven Einschätzungen beruhen und damit viel Interpretationsspielraum zulassen. Aber dazu ist die Zeit wahrscheinlich noch nicht reif.»

Eine ähnliche Haltung vertritt Alessia Schinardi vom Sozialpädiatrischen Zentrum in Winterthur (Beitrag im Schweiz Med Forum, 2011, pdf 0.5 MB): Viele Fälle, die ihr zur Begutachtung einer allfälligen ASS unterbreitet werden, seien durch Eltern, Lehrpersonen oder Fachpersonen der Schulpsychologie bereits inoffiziell diagnostiziert worden. Continue reading ‘Inflation der Diagnosen ADHS und Autismusspektrumstörung’ »

Geht die Begabtenförderung in der integrativen Schule auf oder unter?

stufen_begabtenfoerderungIn der Debatte um die schulische Integration resp. Inklusion droht die Frage der Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderer Begabung unterzugehen. Das ist nicht gut.

In einem Beitrag, der in der neuesten Publikation der LISSA-Stiftung «Begabungsförderung integriert» abgedruckt ist, sind unter anderem verschiedene Stadien beschrieben, in denen sich Schulen bezüglich Begabungs- und Begabtenförderung befinden können (ein Klick auf die Abbildung links macht sie grösser):

Negation: Wenn sich der Unterricht an einer fiktiven «durchschnittlichen Leistungsfähigkeit» orientiert, werden besonders begabte Schülerinnen und Schüler weder erkannt noch sind sie erwünscht, weil sie den Homogenitätsanspruch («alle tun zur gleichen Zeit dasselbe auf dem gleichen Niveau») stören.
Delegation: Die pädagogische Herausforderung, auch besonders begabten Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden, wird an ein spezielles Pull-Out-Programm delegiert. Der eigene Unterricht bleibt von einer entsprechenden Veränderung verschont.
Infiltration: Einzelne Fachpersonen für Begabtenförderung, die in solchen Pull-Out-Programmen tätig sind, infiltrieren auf geschickte Weise Förderideen (sei es durch Projekte oder Team-Teaching) in die Klassen und letztlich in die Unterrichtspraxis der Lehrpersonen im Schulhaus.
Kooperation: Die Fachperson für Begabtenförderung arbeitet (konzeptuell vorgesehen und entsprechend verbindlich) in vielfältiger Weise mit Regellehrpersonen zusammen, was die Breitenwirkung der Begabungs- und Begabtenförderung innerhalb des Schulhauses erhöht.
Evolution: Die Schule hat sich dafür entschieden, die klassenbezogenen Unterrichts- und Förderstrukturen so zu verändern, dass sie sowohl lernschwachen als auch besonders begabten Schülerinnen und Schülern besser entgegen kommen.

⇒ Der Fachartikel ist hier herunterladbar: pdf-Datei, 1.9 MB
⇒ Die Broschüre mit diesem Beitrag und verschiedenen Beschreibungen von preisgekrönten Schulmodellen ist im Buchhandel unter der ISBN-Nummer ISBN 978-3-033-03894-3 für CHF 20.00 erhältlich. Personen, welche im Schulbereich tätig sind, können hier ein kostenloses Exemplar bestellen.
⇒ Interessanter Artikel zur Thematik aus der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 21. März 2013: pdf-Datei, 1.3 MB

Ist ein Nachteilsausgleich im Bildungsbereich notwendig oder unfair?

Dieses Bild passt nur bedingt zur Thematik. Ich habe es trotzdem gewählt, weil es die folgende Tatsache symbolisieren soll: Kinder und Jugendliche können oftmals trotz Beeinträchtigungen erstaunliche Leistungen erbringen, wenn sie die entsprechenden Bedingungen dafür vorfinden. Damit sind beispielsweise Hilfsmittel, Reglementierungen und Haltungen gemeint. Vor allem dann, wenn es um Prüfungssituationen geht, stellt sich die Frage, inwieweit behinderungsbedingte Ausgleichsmassnahmen zum Einsatz kommen sollen – oder ob diese gerade nicht gewährt werden sollen, um den Betroffenen keinen unangemessenen Vorteil zu verschaffen.

Es geht also um Fragen wie diese: Wie soll eine Schülerin mit schwerer Lese-Rechtschreib-Schwäche im Fach Deutsch beurteilt werden? Darf ein Stotterer an einer mündlichen Prüfung mehr Zeit erhalten?

Ein interdisziplinäres Team (Glockengiesser, Henrich, Lienhard, Scheuner und Schriber) hat sich dieser Thematik angenommen. Es zeigt in einem praxisorientierten Artikel auf, weshalb Massnahmen des Nachteilsausgleichs wichtig sind, welche Prinzipien dabei zu berücksichtigen sind und wie verhindert werden kann, dass der Grundsatz der Fairness gegenüber den nicht beeinträchtigen Schüler/innen verletzt wird. Zusätzlich zum Artikel stellt die Autorenschaft drei beispielhafte individuelle Vereinbarungen zum Nachteilsausgleich zur Verfügung.

Wegleitung Nachteilsausgleich (pdf 0.4 MB)
Artikel aus der SZH-Zeitschrift 7-8/2012 (pdf 0.2 MB)
Drei Beispiele von Vereinbarungen zum Nachteilsausgleich (pdf 0.1 MB)

Weniger Lehrpersonen pro Klasse: Bildungsdirektion des Kantons Zürich startet Projekt

zwei_lp_pro_klasse[Bild: NZZ] Es ist unbestritten: Die Anzahl an Lehrpersonen auf der Kindergarten- und Primarstufe hat sich in den vergangenen Jahren laufend erhöht. Verschiedene Gründe sind dafür verantwortlich: Stellenteilungen aufgrund des Wunsches nach Teilzeitpensen, der Einsatz von Fachlehrpersonen sowie der Beizug von Lehrpersonen mit Spezialfunktionen wie Integrative Förderung [IF] oder Deutsch als Zweitsprache [DaZ]). Damit werden die Schnittstellen aufwändiger. Die Klarheit, wer wofür verantwortlich ist, kann leiden.

Vor diesem Hintergrund lanciert die Bildungsdirektion des Kantons Zürich ein Projekt unter der Bezeichnung «Fokus Starke Lernbeziehung». Möglichst viele Spezialfunktionen (u.a. IF, DaZ, Begabtenförderung sowie teilweise auch Therapien) sollen integral von zwei Lehrpersonen übernommen werden. Die Bündelung dieser Ressourcen macht es möglich, dass in vielen Lektionen zwei Lehrpersonen gemeinsam eine Klasse unterrichten werden. Fehlendes Fachwissen soll innerhalb der Schule durch Beratung gesichert werden. Gemäss Projektbeschrieb sollen damit folgende Zielsetzungen erreicht werden:
– pädagogisch (konstantere Lehr-Lern-Beziehung, verbesserte Beziehungsqualität)
– schulorganisatorisch (einfachere Personal- und Stundenplangestaltung, weniger Organisations- und Koordinationsaufwand)
– schulförderlich (Verstärkung der Kompetenzen der Lehrpersonen, mehr fachlicher Austausch, Konzentration auf das pädagogische Kerngeschäft)

Die Idee leuchtet ein: Die Aufsplitterung des (sonder-)pädagogischen Auftrags auf zu viele Personen ist für alle Beteiligten unbefriedigend – nicht zuletzt für die betroffenen Schülerinnen und Schüler. In diesem Zusammenhang möchte ich an die Evaluation des (leider bald der Vergangenheit angehörenden) Grundstufenprojekts erinnern: Sie hat nachgewiesen, dass ein gemeinsam verantworteter Unterricht mit zeitlich hoch dotiertem Teamteaching die Tragfähigkeit der pädagogischen Situation deutlich erhöht. Ich empfinde es deshalb als bitter, dass ein Schulmodell beerdigt werden muss, das Kernelemente des neuen Projekts «Fokus Starke Lernbeziehung» erfolgreich umsetzt.

Dieses Projekt wirft aber auch gewichtige Fragen auf: Gelingt es, das Know-how der Lehrpersonen mit Spezialfunktionen – sie werden teilweise in einzelnen Klassen arbeiten, teilweise beratend tätig sein – in die Klassen und an die Schülerinnen und Schülern zu bringen? Erfolgt durch die Stärkung des Generalistentums eine Verflachung oder gar ein Verlust spezifischer Fähigkeiten und Fertigkeiten im Schulteam?

Ich bin gespannt, wie sich die Umsetzung des Projekts entwickelt, und ich erachte es als positiv, dass die Bildungdirektion grossen Wert auf dessen Begleitung und Evaluation legt. Neben strukturellen und schulorganisatorischen Fragen geht es schliesslich darum, ob der Bildungsauftrag der Volksschule in diesem Modell mindestens gleich gut umgesetzt werden kann wie in den derzeit gelebten Settings – zugunsten aller Schülerinnen und Schüler, ob mit oder ohne besonderem Förderbedarf.

Artikel der NZZ vom Do, 24.01.2013
Projektseite der Bildungsdirektion des Kantons Zürich
Video der Medienkonferenz mit Regine Aeppli (Bildungsdirektorin), Stefan Fritschi (Stadtrat Winterthur) sowie bei der Fragenbeantwortung zusätzlich Martin Wendelspiess (Chef Volksschulamt)
Medienmitteilung der Bildungsdirektion des Kantons Zürich

Radiosendung «Immer mehr Sonderschüler: Was ist los an unseren Schulen?»

farbige_stuehleDie Anzahl Schülerinnen und Schüler, die den Status «Sonderschüler» erhalten, steigt unaufhörlich und in beunruhigender Weise an (vgl. dazu auch den Blogeintrag «Ungebremster Anstieg der Sonderschüler/innen im Kanton Zürich»). Zu dieser Thematik diskutierten im Rahmen der Radiosendung «Forum» von Radio SRF 1 (vormals DRS 1) vom 13. Dezember 2012 die folgenden Personen:
– Beatrice Zbinden, Lehrerin auf der Sekundarstufe I im Kanton Bern
Remo Largo, Kinderarzt und Buchautor
– Peter Lienhard-Tuggener, Hochschule für Heilpädagogik Zürich (der Schreibende)

Zuhörerinnen und Zuhörer konnten sich während der einstündigen Livesendung per Telefon oder E-Mail einbringen. Das Gespräch wurde in Deutschschweizer Dialekt geführt.

Bezüglich inhaltlicher Tiefe und Präzision haben solche breiten Sendegefässe ihre Grenzen. So war während des Gesprächs beispielsweise immer wieder unklar, ob vor allem über die Integration von ehemaligen «Kleinklässlern» gesprochen wird (Schülerinnen und Schüler mit moderaten Lernbeeinträchtigungen oder Verhaltensauffälligkeiten) oder aber über die Integration von Schülerinnen und Schülern mit einer Behinderung (Kinder und Jugendliche mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen). Und: Wichtige, aber komplexe Themen (z.B. Einführung einer Richtquote für verstärkte Massnahmen [resp. Massnahmen der Sonderschulung]; Sicherung des Bildungsrechts intensiv behinderter Kinder und Jugendlicher bei zunehmendem Kostendruck; sinnvoller Einsatz des Standardisierten Abklärungsverfahrens; triagierende Mitverantwortung der abklärenden Dienste bei der Massnahmenfindung) hatten in diesem Rahmen verständlicherweise keinen Platz.
So oder so: Gesamthaft empfand ich das Gesprächsklima als konstruktiv und angenehm undogmatisch. Die Haltung und das Engagement der Lehrerin Beatrice Zbinden haben mich sehr beeindruckt.

Link zur entsprechenden Seite von Radio SRF 1 (vormals DRS 1) mit der Möglichkeit, den Beitrag online anzuhören oder als Podcast herunterzuladen

⇒ Podcast zum direkten Download (zip-Datei, 25 MB)

⇒ Zum Thema passender Artikel über eine preisgekrönte Schule im Kanton Appenzell, die mit viel Engagement Schülerinen und Schüler mit einer Behinderung integriert (Appenzeller Zeitung vom 14.12.2012): pdf, 0.2 MB

Klein und innovativ: Liechtenstein präsentiert «Gesamtkonzept Fördermassnahmen»

Wissen Sie, wie sich das pädagogische und sonderpädagogische Angebot im Fürstentum Liechtenstein präsentiert? Nein? Dann sind Sie nicht allein.

Weitgehend unbeachtet von einer breiteren (schweizerischen) Öffentlichkeit wurden im Fürstentum Liechtenstein viele wichtige Entwicklungen im Bildungswesen früh, professionell und konsequent angegangen: Seit mehr als 20 Jahren gilt in der Regelschule das Prinzip der integrativen Förderung; in einzelnen Gemeinden wurden die Basisstufe, weitere altersdurchmischte Schulmodelle und Tagesschulen eingeführt; sonderpädagogische Massnahme einschliesslich Begabtenförderung stehen den Regelschulen im Rahmen eines Kontingents zur Verfügung; die Zuweisung zu verstärkten Massnahmen erfolgt entlang des «Standardisierten Abklärungsverfahrens» … um nur einige Punkte zu nennen.

Die Pädagogische Arbeitsstelle des Schulamts stellt nun alle diese Entwicklungen im Gesamtkonzept «Fördermassnahmen im liechtensteinischen Bildungswesen» dar. Was gefällt mir an diesem Konzept besonders? Es ist schlank gehalten und sehr verständlich geschrieben. Wer sich in eine bestimmte Thematik vertiefen will, wird auf die entsprechenden Dokumente verwiesen. Hilfreich ist die Orientierung nach Farben (siehe Puzzleteile auf dem Bild), so dass die einzelnen Massnahmen textlich jederzeit dem entsprechenden Bereich zugeordnet werden können. Und schliesslich gefällt mir, dass die Terminologie konsequent dem Sonderpädagogik-Konkordat der EDK folgt – obwohl das Fürstentum Liechtenstein (noch) nicht beigetreten ist.

Selbstverständlich: Auch im Ländle kocht man nur mit Wasser. Aber man tut es professionell: Im Fürstentum Liechtenstein sind verschiedene Entwicklungen bereits etabliert, die in verschiedenen Kantonen noch veritable Baustellen sind. Ein Blick dieser Kantone über den östlichen Rhein könnte sich deshalb lohnen.

Homepage des Schulamtes im Fürstentum Liechtenstein
Link zum Download des «Gesamtkonzepts Fördermassnahmen»

Zweimal Ja für die Grundstufe

In der Grundstufe sind die beiden Kindergartenjahre und die 1. Klasse zusammengefasst. Im Kanton Zürich haben sich 27 Schulgemeinden mit 87 Klassen entschlossen, dieses Schulmodell einzuführen.

Die Vorteile der Grundstufe liegen auf der Hand: In der altersdurchmischten Lerngruppe kann viel besser auf die unterschiedlichen Lerntempi der Kinder eingegangen werden. Eine breit durchgeführte Evaluation hat auch bestätigt, dass viel weniger Schüler/innen wegen Lernproblemen ausgesondert werden müssen – vor allem, weil die bisherige starre Schwelle zwischen Kindergarten und erster Klasse flexibler gehandhabt werden kann. Rasche Lerner können die Grundstufe in zwei Jahren durchlaufen. Wenn ein Kind mehr Zeit braucht, durchläuft es die Grundstufe in vier Jahren. Einschulungsklassen werden mit diesem Modell überflüssig. Die Grundstufe ist kindgerecht und integrativ.

Im Kanton Zürich wird am 25. November 2012 über zwei Vorlagen abgestimmt, welche die Grundstufe betreffen: Die «prima-Initiative» sieht eine flächendeckende Einführung dieses Modells vor. Ein regierungsrätlicher Gegenvorschlag will den Gemeinden die Wahl zwischen Kindergarten/1. Klasse und Grundstufe lassen.

Es spricht für sich: Kaum eine Grundstufen-Gemeinde will diese Schulform wieder aufgeben. Es handelt sich offensichtlich um ein Erfolgsmodell. Das möchte eine Vereinigung unter der Bezeichnung «Offenes Schulforum kindgerechte Schule» nicht wahrhaben. Ein Zitat aus dem «grossen Argumentarium», das auf ihrer Homepage heruntergeladen werden kann: «Die Kinder [in der Grundstufe] sitzen hauptsächlich am Tisch und arbeiten nach Vorlagen. Die reiche Spielumgebung ist ein Schulzimmer mit Gestellen voll von Ordnern und Förderspielen. Das gemütvolle, kindgemässe Erzählen mit unterschiedlichen Materialien wird zur Anweisung um Aufgaben auszuführen. Rituale haben keinen Platz mehr. Das selbst bestimmte Spiel und ein reichhaltiges Bewegungsangebot existiert nicht mehr.» Alle, die schon Einblick in eine Grundstufe genommen haben, entlarven diese Äusserungen als hilflose Unterstellung ohne Realitätsbezug. Ich empfinde dieses Argumentationspapier als ärgerlich und unfair.

Wer sich selbst ein Bild über die Arbeit in der Grundstufe machen will, kann über die Homepage der prima-Initiative einen Schulbesuch in einer Grundstufe in Wetzikon, Winterthur oder der Stadt Zürich vereinbaren.

Zwei lohnende Beiträge aus der NZZ vom 17.11.2012, verfasst von Walter Bernet
Artikel über die Grundstufe Elsau im Tages Anzeiger vom 10.11.2012
Interview pro und contra (Karin Maeder, Gabi Fink) im Tages Anzeiger vom 3.11.2012
Artikel NZZ vom 1. November 2012 «Putsch im Chindsgi»
Link zu einem Artikel auf TA-online vom 19.10.2012
Link zu einem Artikel auf NZZ-online vom 24.10.2012
[Bild: www.schule-sternenberg.ch]

Ungebremster Anstieg der Sonderschüler/innen im Kanton Zürich

Es braucht nicht viel Fantasie, um die weitere Entwicklung dieses Säulendiagramms vorherzusagen (Download der Graphik als pdf-Datei): Wenn keine steuernden Massnahmen ergriffen werden, wird insbesondere die «Integrierte Sonderschulung in der Verantwortung der Regelschule» (ISR, im Säulendiagramm blau) ungebremst weiter anwachsen.

Warum dies geschieht, hat den folgenden Zusammenhang: Die sonderpädagogischen Ressourcen im Regelschulbereich sind im Kanton Zürich kontingentiert und können von der Gemeinde nicht ausgeweitet werden. Durch das Erteilen des Etiketts «Sonderschüler» kann sich die Regelschule zusätzliche Ressourcen verschaffen. So kommt es, dass viele Kinder und Jugendliche sozusagen aus finanztechnischen Gründen zu Sonderschülern werden. Das ist nicht nur unbefriedigend, sondern stossend.

Was ist zu tun? Solange neben einem kontingentierten System (Sonderpädagogik in der Regelschule) ein gegen oben offenes System (zusätzliche Ressourcen durch Sonderschulstatus) besteht, wird sich nichts ändern. Es ist aber absehbar, dass ausufernde Schulbudgets in den Gemeinden unter Druck geraten und reduziert werden müssen. Man sollte es nicht so weit kommen lassen, weil die Gefahr besteht, die erzwungenen Reduktionen hastig, wenig reflektiert (und deshalb am falschen Ort) zu tätigen.

Ein möglicherweise besserer Weg könnte die folgenden Elemente umfassen:
• Es braucht eine Setzung, wie hoch der maximal gewollte Anteil an Sonderschülerinnen und Sonderschülern im Kanton sein soll. Weil die Sonderschulquote in den letzten Jahren laufend angestiegen ist, muss von einer «Grauzonenklientel» ausgegangen werden, welche in erster Linie aus Gründen der Ressourcengenerierung mit dem Sonderschulstatus versehen wurde. Entsprechend ist nicht zu erwarten, dass diese Regelung dazu führt, dass der Unterstützungsanspruch schwerer behinderter Schülerinnen und Schüler in Frage gestellt wird.
• Weil es die Schulgemeinden sind, die den Sonderschulstatus von Schüler/innen aussprechen, hat der Kanton keinen direkten Einfluss auf diese Entscheidungen. Indirekt könnte er jedoch die separativen Sonderschulplätze durch eine kantonale Angebotsplanung und daraus abgeleitete Leistungsvereinbarungen mit den Sonderschulinstitutionen steuern. Ein schrittweiser Abbau eines Teils der Sonderschulplätze wäre angesichts vermehrter integrativer Sonderschulungen nur logisch: Es braucht eine angemessene Umlagerung von Ressourcen, die heute in den Sonderschulen gebunden sind, um die Regelschule wirksam stärken zu können.
• Für die Gemeinden könnte der Kanton die Empfehlung einer Bandbreite ihrer Sonderschülerquote aussprechen. Es ist absehbar, dass viele Gemeinden dankbar wären um eine verbindliche Zielgrösse, an der sich die Schulleitungen und die abklärenden Dienste orientieren könnten. Die diagnostische Triage sollte mehr zielorientiert als defizitorientiert sein, was durch die Einführung des Standardisierten Abklärungsverfahrens erleichtert würde.
• In absehbarer Zeit sollten zudem Wege gefunden werden, belastete Regelschulklassen mit zusätzlichen Ressourcen zu unterstützen, ohne dass dazu ein einzelnes Kind herausgepflückt und als Sonderschüler/in «gelabelt» werden muss. Die Sonderschulquoten-Bandbreite der Gemeinde könnte parallel dazu heruntergefahren werden.

Artikel NZZ vom 6.10.2012 (pdf-Datei, 0.9 MB)
Auszug aus dem Protokoll des Regierungsrats des Kantons Zürich vom 26.9.2012 (pdf-Datei, 0.1 MB)
Artikel Tages Anzeiger vom 17.11.2012 «Kampf gegen die Kostenexplosion in den Sonderschulen» (pdf-Datei, 0.7 MB)

Schulische Inklusion im Film

Am 13. September 2012 kommt ein Film von Hella Wenders in die deutschen Kinos, der nur Kinder sprechen lässt: In der inklusiven Schule Berg Fidel in Münster gehen unter anderem ein hochbegabter, schwerhöriger Junge, ein Roma-Mädchen mit Ausschaffungsängsten und ein Knabe mit Down-Syndrom zur Schule.

Auf «ZEIT Online» ist ein kritische Beitrag zu diesem Film zu finden. Ziele, Konzepte und Praxis dieser Schule ausschliesslich durch Aussagen von Kindern zu präsentieren, wird als instrumentalisierend und unaufrichtig erachtet. Schattenseiten im schulischen Alltag würden ausgeblendet, was den durchaus interessanten Film nur bedingt glaubwürdig erscheinen liesse.

Anlass, sich diesen Film anzuschauen, um sich ein eigenes Bild zu machen.

Homepage des Films
Trailer zum Film
[Bild: W-Filmverleih]

Eine schöne Geschichte für den Neuanfang

Vielerorts beginnt in diesen Tagen die Schule – ein neuer Zyklus, zu dem wir uns gegenseitig wohl nur das Beste wünschen.

In der ZEIT vom 9. August 2012 habe ich auf der «Seite der Leser» (S. 74) einen kurzen, sehr schönen Beitrag gefunden. Jede Woche wird in der Rubrik «Zeitsprung» von einer Leserin oder einem Leser ein historisches Foto nachgestellt. Diesmal hat Dorothea Vierhuff aus Burgdorf, Niedersachsen, eine Fotoszene mit ihrem Bruder wiederholt: einmal 1952, einmal 60 Jahre später. In liebevollen Worten umschreibt sie den Lebensweg ihres Bruders, der mit dem Down-Syndrom geboren wurde.

Bild: DIE ZEIT
Download als pdf-Datei (0.8 MB)

Nicht alles problemlos, aber kaum jemand möchte es anders: Im Südtirol lebt die inklusive Schule

Dieser Bericht über die inklusive Schulung von Jugendlichen mit unterschiedlichen Behinderungen aus der ZEIT vom 31. Mai 2012 lohnt sich aus verschiedenen Gründen zu lesen oder anzuhören. Es geht um die inklusive Schule im deutschsprachigen italienischen Südtirol (in Italien wurden die Sonderschulen vor Jahren aufgelöst). Der Artikel ist weder dogmatisch geschrieben noch verschweigt er Schwierigkeiten … und zeigt doch gut nachvollziebar auf, dass gemeinsames Lernen von Kindern und Jugendlichen mit und ohne Beeinträchtigungen funktionieren kann.

Nicht immer ist die maximale Förderung (die man gemeinhin eher einer Sonderinstitution zutraut) für Schüler/innen mit Beeinträchtigungen die gesamthaft stimmigere Förderung. Im Rahmen der Regelschule können sie sich durch Mitmachen / Abschauen / Nacheifern etliche Kompetenzen aneignen, die in einer Förder- oder Sonderschule wegen der fehlenden Vorbilder nur schwer zu realisieren sind. Dass bei den nicht beeinträchtigten Klassenkameraden weder Leistung noch Sozialverhalten leiden, hat man nicht nur im Südtirol festgestellt. Diese Tatsache wurde im Rahmen zahlreicher Studen bestätigt. Interessant sind auch die folgenden Aspekte:

– Jede südtiroler Regelschule (und damit alle beteiligten Lehr- und weiteren Fachpersonen) muss jederzeit damit rechnen, dass eine Schülerin oder ein Schüler mit irgend einer Behinderung in der eigenen Schule unterrichtet werden muss. Entsprechend sind die sonderpädagogischen Fachpersonen eher breit ausgebildet. Sobald klar wird, dass beispielsweise ein Schüler mit geistiger Behinderung und autistischen Zügen in eine Klasse eintreten wird, werden umgehend gut ausgebaute Weiterbildungsangebote und ein Fachcoaching aktiviert.

– Trotz dieser «Spezialisierung on the job» ist die entsprechende Fachperson genauso wie die Klassenlehrperson für das pädagogische Wohl der ganzen Klasse zuständig, und nicht nur für die Betreuung eines Einzelnen.

– Für Schülerinnen und Schüler mit einer Behinderung stehen viele Lektionen für Sonderpädagog/innen resp. Integrationsbegleiter/innen zur Verfügung, bis zu 100% der Unterrichts- resp. Schulzeit. Genügend Ressourcen sind notwendig – und in einem Schulsystem ohne Sonder- und Förderschulen offenbar finanzierbar. Anders sieht es in Schulsystemen mit einem gut ausgebauten Sonderschulsystem aus. Hier besteht die Gefahr, dass die integrative Unterstützung lediglich in sehr begrenztem Umfang möglich ist … und damit für alle Beteiligten unbefriedigend verläuft.

Letztlich geht es nicht ohne Grundsatzentscheid: Wer eine tragfähige integrative Schule will, kommt nicht um die Umlagerung eines gewichtigen Teils der Sonderschulressoucen in die Regelschule herum.

Artikel mit Interview als pdf-Datei (pdf 0.9 MB)
Artikel online lesen (nur Artikel, ohne Interview)
Gesprochene Audiodatei (15 Min.) mit dem Artikel, ohne das Interview (mp3, 10.8 MB)
[Bilder: DIE ZEIT Nr. 23, 31. Mai 2012, S. 33 und 34]

Bundesgerichtsentscheid stützt Wunsch nach Sonderschulinternat nicht

Der Bundesgerichtsentscheid «2C-971/2011» lässt aufhorchen: Er stützt den Entscheid des Kantons Schwyz, im Falle eines Sekundarschülers mit einer zentral-auditiven Wahrnehmnungsstörung dem Wunsch der Eltern nach Schulung in einem Sonderschulinternat nicht nachzukommen – trotz unterstützendem Gutachten des kantonalen schulpsychologischen Dienstes (NZZ vom 22. Mai 2012, online-Link, pdf-Datei). Interessant sind die Begündungen im ausführlichen Bundesgerichtsentscheid (ich beschränke mich auf einige wenige Aspekte):

⇒ Die Vorgaben des Schweizerischen Behindertengleichstellungsgesetzes und des Sonderpädagogischen Konzepts des Kantons Schwyz, dass integrative Lösungen wenn immer möglich Vorrang vor separativen Schulungsformen haben sollen, wird stark gewichtet.

⇒ Es besteht für alle Schülerinnen und Schüler (ob behindert oder nicht behindert, ob im Rahmen einer Regel- oder Sonderschule) grundsätzlich kein Recht auf eine optimale, sondern lediglich auf eine angemessene Schulung. Das bedeutet unter anderem, dass Kinder und Jugendliche keine schulische Bevorzugung erhalten dürfen, die aufgrund ihrer Beeinträchtigungen nicht ausreichend begründbar und nachvollziehbar ist (z.B. individuellere Schulung in kleiner Klasse oder umfassende Betreuung in einem Internat).

⇒ Der deutliche Kostenunterschied zwischen einer integrativen Förderung und einer Förderung im Rahmen eines Sonderschulinternats wird in die Erwägungen mit einbezogen.

Dieser Entscheid löst bei mir zweierlei Intentionen aus:
Einerseits freue ich mich darüber, dass der gesetzlich vorgegebene Vorrang integrativer Lösungen offenbar mehr als eine Worthülse ist. Vielmehr handelt es sich um eine Verpflichtung für alle Beteiligten.
Andererseits könnte das Bundesgerichtsurteil dazu verleiten, einzelnen Schülerinnen und Schülern mit bildungsrelevanten Beeinträchtigungen das Recht auf eine spezifische sonderpädagogische Unterstützung (ob im Rahmen einer Regel- oder Sonderschule) zu verwehren, weil hinter einer vordergründigen Normalisierungs- und Integrationsargumentation nüchtern-dominante Sparüberlegungen stehen. Betroffen wären vor allem Schülerinnen und Schüler, die über wenig Lobby (von Elternseite, von Seiten von Behindertenverbänden, von Seiten der Gesellschaft) verfügen.

Es ist wichtig, dass der Fokus nicht bloss auf einzelne Behinderungsmerkmale gesetzt wird («ein Kind mit der Behinderung X hat die Massnamen Y zugute»). Hier kann der verbindliche Einsatz des vor kurzem entwickelten Standardisierten Abklärungsverfahrens eine hilfreiche Orientierung bieten: Es fokussiert stark auf die Entwicklungs- und Bildungsziele und bleibt nicht bei der Diagnose stehen. Aufgrund dieser strukturierten Zieldefinition lässt sich unter allen Beteiligten – bis hin auf juristischer Ebene – klarer argumentieren und einschätzen, welche Schulungsform und welche Unterstützungsmassnahmen als angemessen und fair zu betrachten sind.

⇒ Lesenswerte Medienmitteilung (pdf-Datei) von insieme und Egalité Handicap

«Rezeptbuch schulische Integration»: In 15 Monaten bereits viermal nachgedruckt

Erfreulich: Nachdem das «Rezeptbuch schulische Integration» im März 2011 erschienen ist, musste es schon viermal nachgedruckt werden. Einige Korrekturen an Text und Layout konnten bei dieser Gelegenheit vollzogen werden.

Flyer | Inhaltsverzeichnis und Vorwort

Online-Bestellung: buch.ch | ex libris | Haupt-Verlag | Amazon.de

Rezension (pdf 0.1 MB) vom Mai 2011 in der Zeitschrift «Bildung Schweiz»


Dieses praxisorientierte Buch wurde von einem Autorenteam (Peter Lienhard, Klaus Joller und Belinda Mettauer) verfasst und spricht vor allem Lehrpersonen und Schulleitungen der Regelschule an, aber auch Eltern, Fachpersonen der Sonderpädagogik und angrenzender Gebiete sowie Studierende. Es hat einen Umfang von 189 Seiten und beinhaltet 41 Abbildungen sowie 11 Tabellen.

Aus dem Inhalt:
– Gemeinsames Lernen als Ziel (ein Blick auf die gegenwärtige Realität der Volksschule, rechtliche und ethische Grundlagen, wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Wirkungen der schulischen Integration)
– Integrative Schulen machen guten Unterricht (Merkmale eines Unterrichts, der sowohl Schülerinnen und Schülern ohne als auch mit Beeinträchtigungen entgegenkommt)
– Förderdiagnostik und Förderplanung (mit dem Vorschlag eines übersichtlichen Förderplanungszyklus und konkreten Beispielen für eine effiziente und koordinierte Umsetzung)
– So kann schulische Integration gelingen (mit Hinweisen, wie eine Schule auf dem Weg hin zu einer integrativeren Schule vorgehen und ihre Qualität selbst überprüfen kann)
– Kurzbeschriebe von empfehlenswerten Büchern, Materialien und Medien

Zwischen den Kapiteln sind Praxisbeispiele aus integrativen Schulen aus der Deutschland, der Schweiz, Italien, Schweden, Israel und Neuseeland zu finden. Sie zeigen pragmatische und oft verblüffend einfache Wege auf, wie die Schule integrativer gestaltet werden kann.

Langzeitwirkungen der schulischen Integration

Eine bestmögliche soziale und berufliche Integration ist das erklärte Ziel sämtlicher pädagogischer und sonderpädagogischer Bemühungen. Eine wichtige Frage ist allerdings, in welchem Setting dieses Ziel eher erreicht werden kann.

Michael Eckhard und andere haben in einer aufwändigen Langzeitstudie Personen untersucht, die (mit vergleichbaren Merkmalen) entweder eine Regelklasse oder eine Sonder- resp. Kleinklasse besucht haben. Die gleichen Personen wurden zunächst als Schüler/in zu verschiedenen Zeitpunkten untersucht und später dann als junge Erwachsene befragt.

Die wichtigsten Erkenntnisse: Integriert beschulte (potenzielle Kleinklassen-)schülerinnen und -schüler haben im jungen Erwachsenenalter tendenziell
– einen höheren beruflichen resp. schulischen Abschluss erreicht,
– einen stabileren Berufsfindungsweg mit weniger Wechseln und Abbrüchen hinter sich,
– einen höheren Selbstwert und ein leicht höheres Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten,
– ein deutlich breiteres soziales Netzwerk sowie
– eine positivere, weniger ausgrenzende Einstellung Migrantinnen und Migranten gegenüber.

Das Studiendesign und die detaillierten Resultate sind in der folgenden Publikation nachzulesen: Eckhard, Michael; Haeberlin, Urs; Sahli Lozano, Caroline; Blanc, Philippe (2011). Langzeitwirkungen der schulischen Integration. Bern: Haupt

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[Ein Klick aufs Bild macht das Buchcover und den Buchrückentext lesbar.]

Klassenassistenzen stärken die integrative Schule

In Sonderschulen sind sie seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil: Klassenassistenzen, Schulhilfen, Pädagogische Mitarbeiter/innen, Zivildienstleistende. In Regelschulen taucht diese Personalkategorie immer häufiger auf – meist aufgrund bestimmter Drucksituationen. Entsprechend ist die konzeptuelle Verankerung oftmals dürftig. Teilweise herrscht auch berufspolitische Skepsis: Die Befürchtung wird laut, dass mit dem Einsatz von Schulassistenzen Fachpersonal weggespart wird.

Ein Blick in Schulen vieler Länder hat mir gezeigt, dass die integrative Schule durch Assistenzpersonen klar gestärkt und tragfähiger gemacht werden kann. Es braucht aber konzeptuelle Leitplanken (namentlich die Klärung der pädagogischen Gesamtverantwortung für eine Klasse oder auch für einzelne Kinder). Und: Je nach Zusammensetzung und pädagogischem Bedarf einer Klasse sollte entschieden werden, welche Kompetenzen neben der Klassenlehrperson nötig sind, um eine gute Förderung aller Schülerinnen und Schüler zu erreichen (Assistenz? zusätzliche Regellehrperson? verstärkter Einsatz der Fachperson in Schulischer Heilpädagogik?). Dabei müssen Schwerpunkte gesetzt werden, damit die Anzahl Bezugspersonen pro Klasse möglichst gering bleibt.

So weit wie organisatorisch möglich soll jede Berufsgruppe so tätig sein können, dass es für den gemeinsamen pädagogischen Auftrag in der betreffenden Klasse oder Schule Sinn macht (Assistenzpersonen darf keine alleinige Förderverantwortung übertragen werden; Fachpersonen in Schulischer Heilpädagogik sollen nicht als Hilfslehrpersonen eingesetzt werden). Nur so kann ein weiteres, wichtiges Ziel erreicht werden: Mit den begrenzten finanziellen Mitteln wird die grösstmögliche Wirkung erzielt.

⇒ Im Schulblatt des Kantons Zürich (2/2012) ist ein lesenswerter Beitrag zum Thema erschienen: Die Schule Rorbas-Freienstein berichtet über ihre Erfahrungen mit der Einführung von Schulassistenzen (pdf, 0.3 MB).

⇒ Die Neuen Zürcher Zeitung berichtet am 13. April 2012 über die Erfahrungen der Sekundarschule Petermoos in Buchs ZH mit Klassenassistenzen (pdf, 0.3 MB).

[Bild: Schulblatt des Kantons Zürich]

Erfolgreiche gymnasiale Förderung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund

[Bild: Tages-Anzeiger] Für das Gymnasium Unterstrass war der Freitag der 13. (April 2012) kein Unglückstag – vielmehr gab es etwas zu feiern: Die vierte Generation von ChagALL-Jugendlichen konnte aufgenommen werden. Zudem konnte die an der Feier anwesende Bildungsdirektorin Regine Aeppli bestätigen, dass der Kanton Zürich dieses erfolgreiche Projekt ab sofort massgeblich mitfinanziert.

Worum geht es? ChagALL steht für «Chancengerechtigkeit durch Arbeit an der Lernlaufbahn». Begabte Jugendliche mit Migrationshintergrund, die nicht auf die Unterstützung eines bildungsnahen Elternhauses zählen können, werden während der Sekundarschulzeit gezielt auf den Gymnasiumseintritt hin unterstützt. Für die Jugendlichen bedeutet dies einen gewaltigen Zusatzaufwand: Jeden Mittwochnachmittag und etliche Samstage haben sie zusätzlich die Schulbank zu drücken. Erfreulich viel schaffen jedoch den Übertritt ins Gymnasium, und die Mehrheit von ihnen bleibt auch da.

Dieses Modell müsste vermehrt Schule machen. Wir können und dürfen es uns nicht leisten, das Potential von motivierten Jugendlichen mit Migrationshintergrund brach liegen zu lassen.

Der Beitrag des Kantons deckt nicht alle Kosten dieses Unterstützungsprojekts. Zuwendungen auf das Postkonto 80-2440-7 (Gymnasium Unterstrass, Zürich) sind gut investiert.

⇒ Link zum Förderprogramm ChagALL des Gymnasiums Unterstrass
⇒ Link zum Radiobeitrag vom 13.04.2012 (Radio DRS 1, Regionaljournal Zürich-Schaffhausen)
⇒ Artikel Tagesanzeiger vom 14. April 2012 (pdf, 0.3 MB)
⇒ Artikel Neue Zürcher Zeitung vom 14. April 2012 (0.3 MB)
Blogeintrag zum Projekt «ChagALL» Thematik vom Juni 2011

Immer mehr Schülerinnen und Schüler mit der Diagnose «geistige Behinderung»

Die «Vierteljahreszeitschrift für Heilpädagogik» (VHN) druckt regelmäßig E-Mail-Dialoge zwischen zwei sonderpädagogischen Fachpersonen ab. In der aktuellen Nummer 2/2012 unterhalten sich Hans-Rudolf Bischofberger (Leiter der Heilpädagogischen Schule der Stadt Zürich) und Peter Lienhard (Mitarbeiter an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik Zürich) über eine Thematik, die nicht nur ihnen Kopfzerbrechen bereitet: Wie kommt es, dass der Anteil an Schülerinnnen und Schüler mit der Diagnose «geistige Behinderung» vielerorts dramatisch ansteigt? In der Stadt Zürich beispielsweise waren es vor zehn Jahren 120 Schülerinnen und Schüler; heute sind es 440, mehr als dreieinhalb Mal so viel.

Der E-Mail-Dialog geht über die Suche nach Ursachen hinaus und mündet in visionären Organisations- und Ressourcierungsmodellen, die aufgrund des finanzpolitischen Drucks, die Sonderschulzahlen nicht weiterhin ungebremst steigen zu lassen, allenfalls schon bald Realität werden könnten.

Die VHN dürfte in den meisten sonderpädagogisch ausgerichteten Bibliotheken einsehbar sein. Das Heft oder auch nur dieser eine Artikel kann beim Reinhard-Verlag online erworben werden (als Printausgabe oder als pdf-Datei).

Ein Klick aufs Bild zeigt einen kleinen Ausschnitt des E-Mail-Dialogs.